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Und jährlich grüsste das Murmeltier

2010 als Jahr des Aus- und Aufbruchs

12/26/2009

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Manni Schneiderbauer Geduld ist eine Tugend, auf die in den vergangenen Jahren jene dringend angewiesen waren, die adäquaten Schienennahverkehr für diese Stadt einforderten.

Am 18. September 2011 - in weniger als zwei Jahren - jährt sich zum zehnten Mal jener richtungsweisende Gemeinderatsbeschluss, der dem Ausbau des Systems Straßenbahn den Weg ebnen sollte.

Ich muss leider festhalten: seit damals wurde durchaus um einiges mehr versprochen als erreicht.

Jahr für Jahr wurde von den regierenden Parteien der baldige Baubeginn versprochen, doch nichts geschah. Man wähnte sich schon beinahe in dem Film mit Bill Murray, dessen Titel dieses Editorial sich in leicht abgeänderter Form entlieh.

Die Politik redete sich aus auf umfangreiche Vorbereitungsmaßnahmen, die zunächst notwendig seien - den Umbau der Andreas-Hofer-Straße, die Neugestaltung des Südtiroler Platzes, die Fuhrparkerneuerung, die Anpassung von Strecken und Haltestellen für die Niederflurstraßenbahnen - und immer wieder musste auch der Bund mit seinem bis heute nicht rechtsgültig ausgehandelten Finanzierungsanteil an der Stadtbahnlinie Hall-Völs als Ausrede herhalten, wenn wieder einmal die Frage aufkam, was denn nun mit den Neubaustrecken sei.

So verstrich das Jahr 2008 ohne Spatenstich, und dann auch das Jahr 2009. Mit der Einstellung der O-Busse 2007 war der Anteil der elektrischen Traktion im städtischen öffentlichen Nahverkehr von stolzen 40 auf magere 20 Prozent geschrumpft. Einzig die S-Bahn auf den ÖBB-Strecken wurde innerhalb weniger Jahre auf- und ausgebaut und umfasst mittlerweile fünf Linien, ihre Bedeutung als Verkehrsmittel innerhalb der Kernstadt ist im Augenblick aber noch minimal.

2008 war das wohl schlechteste Jahr für den Tram-Ausbau seit Beginn des Jahrtausends. In diesem Jahr hatte die politische Uneinigkeit dermaßen überhand genommen, dass die Planungen für einige Monate eingestellt worden waren. Nur ein gemeinsamer Kraftakt von Opposition, Lobbyinggruppen und Stadtregierung konnte den Stein wieder ins Rollen bringen und führte schließlich zu neuen politischen Beschlüssen und einer Vertiefung der Planungen.

Nun stehen wir im neuen Jahrtausend am Beginn des zweiten Jahrzehnts und es zeichnet sich - endlich - ein Ausbruch aus dem mehrjährigen Kreislauf der leeren Versprechungen ab: der Baubeginn wurde nun - wenn auch immer noch nicht vorbehaltsfrei - für März 2010 angekündigt.

Es gibt viel Kritik an dem, was da gebaut werden soll, und die Kritik ist weitgehend berechtigt. Zu gering der Anteil an eigenem Gleiskörper, zu groß die Rücksicht auf den Autoverkehr, zu wenig begleitende Gestaltung des urbanen Umfelds.

Ich selbst bin dabei mit Sicherheit einer der größten Kritiker.
Ich gebe aber zu bedenken, dass all das weder außergewöhnlich ist noch unerwartet kommt.
Dahinter steckt eine auch in anderen Städten bei vergleichbaren Großprojekten angewandte Strategie, die sich am besten mit den nachfolgenden Worten von Bertolt Brecht umschreiben lässt:

"Wer 'Alles oder nichts' sagt, dem antwortet die Welt meistens mit 'Nichts' ".

Weniger vornehm könnte man auch von Salamitaktik sprechen.

Wer sich die kürzlich veröffentlichten Pläne für die erste Ausbaustufe genau ansieht, wird nämlich feststellen, dass man sich alle Optionen offen gelassen hat. Wo die Gleise im Mischverkehr liegen, dort gibt es genügend Platz, um später getrennte Spuren inklusive der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsabstände nachzurüsten, falls sich nach Inbetriebnahme herausstellen sollte, dass die Bahn durch den Autoverkehr behindert wird. Die politischen Vorgaben wurden offenbar bis auf den letzten Zentimeter ausgereizt.

Von den rund 5,6 Kilometern Gleis, die 2010 und 2011 verlegt werden, befinden sich rund 3,3 Kilometer auf Eigentrassen und weitere rund 220 Meter in einer verkehrsberuhigten Zone. Damit sind immerhin gut 60 Prozent dieser Neubaustrecken vom Autoverkehr "befreit", ein Wert, von dem wir bei den bereits bestehenden Tram-Strecken derzeit noch weit entfernt sind. Bei den danach folgenden weiteren Bauabschnitten, allesamt außerhalb der Inneren Stadt, wird der Eigentrassen-Anteil noch größer ausfallen.

Sehen wir also dem, was da nun endlich zu entstehen sich ankündigt, mit zwar gedämpftem, aber doch vorhandenem - und berechtigtem - Optimismus entgegen.

Was wir doch auch sehen sollten, ist, dass der Wandel von der klassischen, alten Straßenbahn zur zeitgemäßen, stadtbahnartigen Tram sich in Innsbruck so schnell wie in kaum einer anderen Stadt vollzogen hat. Innerhalb von nur drei Jahren wurde das gesamte Netz modernisiert, für die Erweiterungen vorbereitet und der gesamte Fuhrpark erneuert. Alte Hochflur-Straßenbahnen gibt es nicht mehr, das barrierefreie Ein- und Aussteigen ist an beinahe jeder Station möglich, elektronische Fahrgastinformation gehört an sämtlichen Haltestellen und in allen Fahrzeugen zur Standardausstattung.

Insgesamt erreicht Innsbruck damit nach Jahren des Nachzüglerdaseins mit einemmal ein Niveau, von dem die Fahrgäste aller anderen Straßenbahnbetriebe in Österreich bislang leider nur träumen können.

Und dieser Geist einer radikalen Erneuerung wird über kurz oder lang auch vor der Trassengestaltung nicht halt machen, selbst wenn man nun zu Anfang Wege des geringeren Widerstands beschreitet. Das bereits spürbar gestiegene und weiter steigende Image der Tram in der Bevölkerung und auch ihre mit dem Ausbau steigende verkehrliche Bedeutung werden entscheidend dabei helfen.

Nicht zuletzt im größten Nahverkehrsforum Westösterreichs, dem Inntram-Forum, dessen Benutzern ich an dieser Stelle wieder einmal für ihre Treue im scheidenden Jahr 2009 und die bisher - laut Statistiken - größte Aktivität und das größte Wachstum seit seiner Gründung danken mächte, gibt es viele Menschen, die mehr als nur ein geschärftes Auge auf die Entwicklungen haben und immer wieder zur richtigen Zeit den richtigen Input liefern.

Schauen wir also frohgemut, jedoch auch weiterhin mit kritischem Blick in das kommende Jahr 2010 und freuen uns auf den Baubeginn der ersten Neubaustrecken!

Signatur
Manni Schneiderbauer
Sämtliche Formulierungen in diesem Artikel beziehen sich auf beide Geschlechter.



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> 21.09.2008: Nächster Halt: Endlosschleife
> 04.01.2008: Die Tram kommt - trotz Gemotz
> 30.05.2007: Chronologie des Regionalbahnkonzepts
> 31.12.2006: Tschüss 06: Versuch eines Jahresrückblicks
> 31.10.2006: Die Auffahrt der Bagger: Vom gelernten Österreicher und seinen Dogmen
> 24.04.2006: Wahlergebnis: Alles bleibt bei der Alten
> 02.02.2006: 5 past 12 bei PM10
> 29.08.2005: In Innsbruck Fehlanzeige
> 29.04.2005: Habemus vehiculum - schon bald
> 02.03.2005: Der Straßenbahn-Millenniums-Virus
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